Vorwort


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Dieses Buch

Fast zwei Jahre war ich schon mit Inhalten für das „Böbelinger1) Straßennamenbuch“ beschäftigt, da kam es zu einer Unterbrechung, die zur Entstehung dieses Buches führen sollte: Eine dieser Straßen, die Kolbstraße 2) gab mir Anlass, mich mit einem Dorfschullehrer aus alten Zeiten zu beschäftigen, der mir bis dahin völlig unbekannt geblieben war: Immanuel Kolb.

Schon als ich die ersten Auszüge seiner Reden las, wurde mir klar, warum er nicht nur den Kindern seiner Zeitgenossen ein guter Schulmeister war, sondern auch ihnen selbst als Lehrer und als Vorbild galt.

Immer wieder musste ich beim Lesen dieser Texte zum Nachdenken verweilen und schon bald füllte sich mein Notizblock nicht mehr nur mit Ereignissen aus der Geschichte der beiden Städte, sondern mit seinen Gedanken.

Alle hier gesammelten Zitate entstammen Briefen und Mitschrieben seiner Gespräche und Reden, die im Zusammenhang mit seiner Lehr- und Missionstätigkeit standen und die uns von ortsansässigen Bürgern und Glaubensbrüdern überliefert wurden. Zum größten Teil wurde diese dem Buch „Kurzer Lebensabriss von Immanuel Kolb“ entnommen, das in seinem Todesjahr von Freunden herausgegeben wurde. Diesem Buch entstammen auch die Daten der folgenden Lebensbeschreibung.

Immanuel Kolb

text.jpgImmanuel3) Gottlieb Kolb wurde am 28.12.1784 in Schönaich geboren. Bereits die Jahre seiner Jugend waren von bitterer Armut geprägt. Aus dieser Zeit berichtet er, dass seine Familie jahrelang in einer Scheune hat wohnen müssen dass seine Mutter ihm und seinen acht Geschwistern „die Erdbirnen“, also die Kartoffeln, „vorgezählt“ hat.

Allerdings konnte er sich das Wissen für seinen späteren Beruf als Lehrer direkt bei seinem Vater Christoph Friedrich 4) aneignen, der zu dieser Zeit Schulmeister in Schönaich war. So konnte Kolb, der demnach offenbar ein guter Schüler war, bereits mit 16 Jahren in Mähringen bei Tübingen als Provisor5) tätig werden. Über diese erste Lehrtätigkeit hat er selbst folgendes berichtet:

„Von Mähringen aus hatte ich alle Tage die Schule in dem eine halbe Stunde entfernten Filial Jetenburg zu versehen. Ich stand Morgens um fünf Uhr auf, half dem Schulmeister bis um sieben Uhr beim Dreschen, solange dieses Geschäft währte, darauf frühstückte ich, zog die Kirchenuhr auf und eilte nach Jetenburg. Da es Winter war, und ich, bloß mit Schuhen bekleidet, oft durch tiefen Schnee zu gehen hatte, so musste ich bisweilen den ganzen Tag mit nassen Füßen Schule halten. Auch hatte ich dort kein bestimmtes Kosthaus - lud mich jemand zum Mittagessen ein, so war es gut; wo nicht, so speiste ich an dem Gesindetisch des Schultheißen. Abends kehrte ich wieder nach Mähringen zurück. Im kalten Dachkämmerlein wurde ich manchmal in meinem Bette überschneit, indem die Dachziegel den Schnee ungehindert passieren ließen. Aber ich achtete dieses nicht.“



Lehrer in Böblingen/Dagersheim

Nach dieser Anstellung in Mähringen lehrte er einige weitere Jahre in den Orten Öschelbronn und Denkendorf. Und im Alter von 22 Jahren wurde er zum Schulmeister im bei Böblingen gelegenen Dagersheim ernannt - und zwar als Nachfolger seines kurz zuvor verstorbenen Onkels Jakob Walter Kolb.

Und auch dieser hatte eine Tradition der Familie Kolb fortgesetzt, denn zuvor waren außer seinem Onkel auch sein Großvater Georg Friedrich Kolb6) und sein Urgroßvater Georg Christoph Kolb7) Schulmeister im gleichen Ort gewesen. Die Kolbs waren also eine arme, aber recht kluge Familie 8). Der Unterricht in Dagersheim wurde in der 1977 abgerissenen „Alten Schule“ abgehalten. Das Gebäude befand sich direkt neben der Dagersheimer Kirche und dieses hatte Kolb noch bis zu seiner Pensionierung auch als Wohnhaus.

Im Klassenraum dort hat der Dorfschullehrer Kolb seine Schüler nach folgenden Fächern benotet:
Lesen, Schreiben, Rechnen, Religion, Fähigkeit und Sitten. Zu dem wurde bei der Benotung im Fach Religion unterschieden zwischen Memorieren und Einsicht. Zusätzlich hat er noch Förderkurse in den Fächern Geographie, Musik, Welt- und Naturgeschichte gehalten und er gab auch Privatstunden. So hat ihn also allein seine schulische Lehrtätigkeit täglich bis zu 14 Stunden in Anspruch genommen. („Sechs Tage in der Woche muss ich mich meinen 140 Schülern stellen“)). Außerdem gehörte es damals zu den Pflichten eines Schulmeisters, Reden bei örtlichen Festlichkeiten wie Hochzeiten und Begräbnissen zu halten. Von dieser „äußeren“ Berufsausübung zog er sich ab 1840, also im Alter von 56 Jahren, allmählich zurück und 10 Jahre später gab er im Alter von 65 Jahren sein Lehramt ganz auf.

Von seinen Zeitgenossen wurde er als „sehr gläubig“ beschrieben und man sagte von ihm, er sei „mit einem scharfsinnigen Verstand begabt“. Darüber hinaus wurde von ihm berichtet, er hätte „eine Anlage zu Witz und Satire“ und wäre „cholerisch wie ein Löwe“. Auf die Frage, wie er es in seinem Unterricht mit der Strenge halte, soll Kolb geantwortet haben:

„Munterkeit kann man gestatten,
Unart muss man beschränken
und Bosheit soll man bestrafen“.



Er gab zu, dass er gerne „ab und zu“ einen Rotwein trank und durch Berichte seines Neffen9) sind sogar seine Essgewohnheiten bekannt. Demnach hat es bei den beiden so gut wie immer „morgens eine Gemüsesuppe“ und mittags „Spätzle mit Gemüse“ gegeben.

Missionar und geistiger Lehrer

Aber nicht als Schullehrer ist Kolb weit über seinen Wirkungsort bekannt geworden, sondern als „Stundenhalter“ und „führender Bruder“ der „Hahnschen Gemeinschaft“10) - einer pietistischen Vereinigung, die auf Michael Hahn11) aus Sindlingen zurückgeht.

Diese „Erbauungsstunden“ hat Kolb meist im örtlichen Schulhaus und später in der Großen Gasse 18 gehalten. Denn sie wurden nicht nur von Ortsansässigen besucht: recht schnell fanden sich auch Zuhörer von außerhalb ein. Schon einige Zeit später war er weithin sehr bekannt - so ist zum Beispiel sogar von Fürst Bismarck überliefert, dass ihm das Buch „Kurzer Lebensabriss Immanuel Kolbs“ als regelmäßige Bettlektüre gedient haben soll.

Dieser Bekanntheitsgrad führte dazu, dass er zur Anlaufstelle für Rat- und Hilfesuchende aus dem ganzen Umkreis wurde.

Neben seiner vielfältigen Lehrtätigkeit leistete er auch wichtige Beiträge innerhalb der „Hahnschen Gemeinschaft“. Unter anderem machte er es sich nach dem Tod des Gründers Michael Hahn zusammen mit anderen zur Aufgabe, dessen schriftlichen Nachlass in 15 Bänden herauszugeben.

Lebensumstände und Lebensabend

Zusätzlich hat er einige Bücher mit Auszügen und Anmerkungen zu diesen Werken verfasst, was angesichts seiner Lebensumstände mehr als erstaunlich ist. Denn wie damals allgemein üblich, war die Besoldung seiner Lehrtätigkeit sehr kärglich bemessen. Noch dazu bestand der größte Teil seines Gehaltes lediglich aus dem Nutzungsrecht an einem Acker, um dessen Bestellung er sich weitgehend selbst kümmern musste. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Kolb meist in sehr ärmlicher Kleidung anzutreffen war und aus diesem Grund immer wieder zur Annahme von Kleiderspenden überredet werden musste.

Auch war er jahrzehntelang hoch verschuldet, so dass sich bei ihm nach mehreren durch Hagelunwetter verursachten Missernten bei ihm eine so große Armut einstellte, dass er trotz seines durchweg fest begründeten Glaubens an der dadurch erlittenen Not fast verzweifeln wollte.

Die Entbehrungen seiner Jugend, sein weiteres ärmliches Leben und die großen Belastungen, die er sich zusätzlich zu den ihm in seinem Amt ohnehin gegebenen auferlegt hat, zogen ständige und ihn sein Leben lang begleitende Erkrankungen aller Art nach sich - vor allem Lungenerkrankungen. So erkrankte er schließlich Anfang 1858 sehr schwer und beendete am 17.2.1859 im Alter von 74 Jahren sein mit Arbeit, Sinn und tiefem Glauben erfülltes Leben.

Heute zählt man Immanuel Kolb zu den bedeutendsten Pietisten Württembergs. Die Auswahl und die Zusammenstellung der hier vorgestellten Zitate ist jedoch weniger in diesem Zusammenhang zu sehen. Mir galt und gilt der Schulmeister Kolb als ein wahrer Philosoph des Lebens und seine Gedanken als wertvolle Anstöße zum Nachdenken über „Gott und die Welt“ im wahrsten Sinn dieser Worte. Und diese Erfahrung mit seinen Texten gebe ich hiermit gerne weiter.

„Wer sein Edles
zu verbergen weiß,
der ist groß“


© Ralf Rabemann

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1) gemeint ist der schwäbische Doppelort Böblingen / Sindelfingen
2) in der Nähe meiner damaligen Wohnung
3) Der Eintrag im Taufregister lautet „Emanuel“
4) * 8.4.1752 in Dagersheim, † 2.4.1819
5) Lehrgehilfe
6) * 13.11.1720 in Dagersheim, † 15.12.1802
7) * 19.6.1688 in Entringen, † 21.2.1757
8) Hier sei angemerkt, dass von diesem Ururgroßvater Kolbs auch Charles de Gaulle abstammt.
9) Kolb hatte seinen Neffen nach dem frühen Tod seines Bruders wie einen Sohn bei sich aufgenommen
10) „Hahnsche Gemeinschaft“,
Pfarrgasse 4, 71032 Böblingen,
Tel. 07031-25216
11) * 2.2.1758 in Altdorf, † 20.1.1819 in Sindlingen
texte/veroeffentlichungen/kolb-immanuel/vorwort.txt · Zuletzt geändert: 2020/01/18 23:09 von rabemann
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